Es ist Hochsaison für die Rehkitz-Retter. Im Mai und Juni sind viele Landwirte unterwegs, um mit ihren großen Erntemaschinen die hoch gewachsenen Wiesen zu mähen, um nährstoffreiches Futter für die Viehhaltung zu gewinnen. Für die kleinen Rehkitze kann das allerdings tödlich enden. Denn Reh-Mütter lassen gerne ihren Nachwuchs im Schutz des hohen Grases zurück, während sie selbst auf Nahrungssuche gehen. Die zurück gelassenen Kitze ducken sich tief ins Gras und verharren instinktiv regungslos. Selbst bei nahender Gefahr bewegen sie sich nicht fort.
Damit sie beim Mähen nicht zu Schaden kommen, prüfen ehrenamtliche Helfer der Rehkitz-Rettung vor dem Ernte-Einsatz die Flächen mit einem Hochleistungs-Fluggerät. Die mehrere Tausend Euro teure Hightech-Drohne mit Infrarot-Funktion hat eine hoch auflösende Kamera, die von Wärmebild auf Normalbild umschalten und die Bilder heranzoomen kann. Somit können selbst Mäuse in der Wiese lokalisiert werden, sofern ihre Körpertemperatur wärmer als die Umgebung ist. Das ist auch der Grund, dass die Messungen früh morgens stattfinden, weil in den kühlen Morgenstunden die Bodentemperatur noch sehr niedrig ist.
Wir - zwei Mitglieder des Vilbeler NABU – haben die Möglichkeit, einen dieser Einsätze zu begleiten. An einem Sonntag im Juni, morgens um 6 Uhr vor Ort zu sein, verlangt ein wenig Disziplin. Die zu mähende Wiesenfläche liegt in der Nähe von Seulberg mit weitem Blick in die Rheinmain-Ebene. Der spektakuläre Blick mit einem herrlichen Sonnenaufgang entschädigt schon mal für das frühe Aufstehen. Die Spannung steigt. Einsatzleiter und Drohnen-Pilot Christian hat bereits den ersten Erkundungsflug über die betreffende Wiese gestartet. Die Wiese ist wesentlich größer als zunächst gedacht, reicht bis zum Waldrand und ist umsäumt von einem teils doppelreihigen Baumbestand. Die Drohne entdeckt mehrere relativ kreisrunde Flecken, die sich bei genauerer Betrachtung nicht als Rehkitze sondern als frische große Kuhfladen entpuppen, die von Kühen auf dem Nachbargrundstück stammen.
Da das dichte Laub der Bäume die Sicht der Drohne erschwert, müssen die Helfer gesondert mit entsprechender Ausrüstung unter den Bäumen und drumherum die Fläche
untersuchen. Dazu kommen ca. auf 4-5 m ausziehbare Metallstangen zum Einsatz, an denen mehrere Wärme-Sensoren befestigt sind, die einzeln auslösen, sobald sie auf eine Wärmequelle stoßen. Die ca.
4 kg schwere Stange wird um den Hals getragen, mit den Händen ausbalanciert und Hüfthoch durch die dicht bewachsene Wiese getragen. Die Grashalme stehen eng und teils bis ca. 1,50 m hoch.
Außerdem sind reichlich tiefe Löcher im Boden, die schnell übersehen werden und zu Verletzungen führen können. Spätestens jetzt wird klar, dass Unsportlichkeit für diesen Einsatz nicht förderlich
ist. Auch Pollenallergiker dürften keine Freude haben, denn bei jeder Bewegung wird eine dichte Graspollen-Wolke frei gesetzt.
Tierretterin Heike trägt die Metallstange mit großer Ausdauer durch das Gräser-Meer. Hinter ihr laufen weitere Helfer (heute dürfen wir das tun), die bei Auslösen der Sensoren an verdächtigen
Stellen die Halme mit langen Stöcken zu Boden drücken, um das hohe Gras so gründlich wie möglich zu durchsuchen. Die Sicht ist durch den dichten hohen Bewuchs stark eingeschränkt und ein 1/2 m
entfernt liegendes Tier kann trotz technischer Hilfsmittel leicht übersehen werden. Für einen Landwirt auf seiner Mähmaschine ist es also praktisch unmöglich, rechtzeitig ein Rehkitz zu
erkennen. An einigen Stellen sind niedergedrückte Halme zu einer rundlich-ovalen Fläche zusammengedrückt, ein Zeichen, dass hier tatsächlich Tiere geruht haben.
Insgesamt dauert die Prozedur zwei Stunden, dann ist klar, dass sich kein Rehkitz versteckt hält. Alle sind erleichtert und die Wiese kann für den Landwirt frei gegeben werden. Dieser wartet bereits mit seiner Mähmaschine am Feldrand. Im Idealfall informieren die Landwirte oder die zuständigen Jagdpächter die Tierrettung, bevor die Flächen abgeerntet werden.
Was wäre gewesen, wenn sich ein Rehkitz in der Wiese versteckt hätte? In diesem Fall wäre es von versierten Helfern mit Handschuhen und Grasbüscheln vorsichtig aufgehoben und in einer Transportbox gesichert worden. Handschuhe deshalb, damit das Rehkitz nicht den Geruch von Menschen annimmt, sonst wird es von seiner Mutter nicht mehr angenommen. Wenn die Mäharbeiten beendet sind, wird es an einem möglichst schattigen Platz am Rand der Wiese wieder abgesetzt und in der Regel ohne Probleme von seiner Mutter gefunden.
Die Bilanz kann sich sehen lassen. Bisher wurden rund 50 Kitze gerettet und weitere Kitze „vergrämt“, d.h. sie haben sich eigenständig aus der Gefahrenzone bewegt. Auch der Nachwuchs von anderen Tieren wie z.B. von Feldhasen, kann vor dem sicheren Tod bewahrt werden.
Toll, dass es Menschen gibt, die sich ehrenamtlich und mit so viel Engagement für den Tierschutz einsetzen! Wir sagen herzlich Danke! Mehr Infos und Möglichkeiten zur Unterstützung der Rehkitz-Rettung Rhein-Main gibt es hier.